Pforzheim – Die Mischung macht’s REVISITED #1

Pforzheim - Die Mischung macht's REVISITED #1

Zu Gast:  Nabiha Yaachoub (Syrien, in Pforzheim seit 1987), Reem Rachid (Syrien, in Pforzheim seit 2014) und Zerrin Karaman (Türkei, in Pforzheim seit 2010)

Movie Artwork
Wie ein Klassentreffen
Das drückt tatsächliche Verbundenheit aus: Als Klassentreffen hat Christine Müh den Auftakt zum Projekt „Pforzheim – Die Mischung macht´s revisited“ im Vorfeld bezeichnet. Das Zitat der Geschäftsführerin des Kommunalen Kinos (Koki) greift Sozialbürgermeister Frank Fillbrunn denn auch in seiner kurzen Ansprache im Kinosaal auf – angesichts eines Publikums, das in der Tat einen familiären Charakter verströmt. Das ist kein Wunder, denn aufgrund der Corona-Pandemie konnten in den vergangenen Jahren keine neuen Filme über Menschen aus Pforzheim mit und ohne Migrationshintergrund gedreht werden. Weil man aber unbedingt eine Fortsetzung machen wollte nach fünf Jahren Pause wurden eben die seit 2010 gedrehten Filme über Bürger dieser Stadt – die meisten mit Migrationshintergrund – wieder aus der Schublade geholt und die Protagonisten von damals eingeladen. 
In Pforzheim ihre Heimat gefunden
Bis Ende Juli flimmern montags Kurzfilme über das Ankommen und vor allem das Leben von 47 Menschen in dieser Stadt über die Leinwand – danach sind die Protagonisten eingeladen, im Gespräch mit Christine Müh, Projektleiterin Mirzeta Haug und dem Publikum zu erzählen, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. „Ich bin immer noch die Gleiche“, sagt beispielsweise Nabiha Yaachoub aus Syrien. „Das sind immer noch meine Aussagen.“ Na ja, die Frisur hat sich etwas verändert, aber in der Tat versprüht die soeben zur Oma gekürten Syrerin immer noch Lebensfreude, Optimismus. Und sie hält immer noch die Fahne hoch, dass man offen sein müsse und auf Menschen zugehen. In ihrer Heimat war sie allerdings seit ihrer Flucht vor 36 Jahren nie wieder. Erst die Wirtschaftskrise, dann der Krieg „und man war ja immer hier mit seinem Leben beschäftigt“.
Zerrin Karaman dagegen, deren Eltern als Gastarbeiter aus der Türkei nach Pforzheim kamen und die hier geboren ist hatte nicht nur als Kind unter dem Gefühl des Andersseins zu leiden, sondern stellt mit Bedauern fest, dass auch ihre Tochter in der 10. Klasse sich immer mehr beweisen müsste als ausländisch wirkende junge Frau. Was diese aus dem Publikum heraus bestätigt. Zerrin wurde von den Eltern immer an ihre türkischen Wurzeln erinnert und hat sich lange gefragt, wie das denn dann funktionieren solle mit der Integration. Ein wichtiger Schritt für sie war, das Leben der Deutschen kennen zu lernen, sich auszutauschen. Indem zum Beispiel die Nachbarn zum Tee eingeladen wurden. Das war damals der Beginn der echten Integration.
Bei Reem Rachid aus Syrien, die an diesem Abend nur im Film zu sehen ist schwingt das Erleben des Krieges mit und das Bedauern darüber, dass ihre Ausbildung zur Lehrerin nicht ausreichend ist, um den Beruf in Deutschland weiter auszuüben. Für alle drei jedoch ist Pforzheim zur Heimat geworden. „Heimat ist für mich da, wo meine Kinder sind“, sagt Nabiha Yaachoub auch.
Die Filme zu sehen, die vor langer Zeit gedreht wurden, das jedenfalls berührt die Protagonistinnen sehr, rührt sie sogar zu Tränen. Es sind emotionale Momente, die diesen ersten Abend von „Pforzheim – Die Mischung macht´s“ prägen. Berührende, anrührende, von großer Freundlichkeit und Zugewandtheit zeugende. Und damit kommt man erneut dem Ziel ein Stück näher, Menschen unterschiedlicher Couleur, unterschiedlicher Herkunft und auch Religion unter einem Dach zu vereinen – was wie immer in ein gemeinsames Mahl unter freiem Himmel mündet. Und da nehmen auch die Personen der ersten Stunde Platz. Unter ihnen auch Ina Rau, die das erste Projekt geleitet hatte. Und erwähnt wird auch Christa Mann vom Forum Asyl, die laut Müh „viele Kontakt hergestellt hat“ und sich schon bei der ersten Staffel dafür eingesetzt habe, dass „Zugewanderte und Einheimische sich treffen und kennenlernen“.
Oberbürgermeister Peter Boch ist Schirmherr
Gewürdigt wird die „revisited“ Mischung auch von städtischer Seite. Nicht nur, dass Oberbürgermeister Peter Boch Schirmherr ist und ein bewegendes Vorwort im Programmflyer geschrieben hat – auf die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine und die damit verbundenen Flüchtlingsströme bezogen zeigt er sich überzeugt, dass sich gerade in Krisenzeiten „die Stärke unserer interkulturelle, multireligiösen Stadtgesellschaft“ zeige.. Und außer Bürgermeister Frank Fillbrunn ist auch eine andere „Abteilung“ vertreten, die laut Christine Müh immer unterstützend zur Seite stand – die Kulturamtsleiterin Angelika Drescher stellt sich gern zum Gruppenfoto dazu. Ebenso wie die Integrationsbeauftragte Anita Gondek. Ihr habe die Idee damals schon deshalb gefallen, weil es wichtig sei, dem Negativen etwas entgegen zu setzen und zu zeigen, dass es im Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und überhaupt in Pforzheim viel „Gutes, Schönes“ gebe. Das zu zeigen sei auch „ermutigend für andere“.
Auch Ina Rau schaut zurück, als sie nach den damaligen, vorherrschenden Themen gefragt wird. „Das waren die Kopftücher“, sagt sie. Näher braucht sie nicht darauf einzugehen; ihr ist es wichtiger, noch mal das zentrale Thema heraus zu schälen. Nämlich die Vielfalt der Menschen dieser Stadt zu beleuchten, den Menschen hinter der Person zu zeigen und vor allem das Alleinstellungsmerkmal von Pforzheim mit seinen vielen Nationen. „Den Menschen sichtbar zu machen mit seiner Geschichte“, sagt sie. „Um rauszukommen aus den Stereotypen, weg von den Vorurteilen.“
Eine internationale Stadt mit „Stoff“ für weitere Filme
Bürgermeister Frank Fillbrunn lobt die Idee, die vor zwölf Jahren von Christine Müh aus Münster nach Pforzheim mitgebracht wurde und „dem, was die Internationalität der Stadt ausmacht ein Gesicht und eine Stimme gibt“. Noch besser sei es, dass das keine einmalige Angelegenheit gewesen sei. Nicht ohne Stolz erzählt der Bürgermeister, dass eine Schülerin aus der Partnerstadt Vicenza, die er an diesem Tag beim Empfang hat, auf die Frage, was ihr an Pforzheim aufgefallen sei, geantwortet habe: „Das ist eine internationale Stadt.“ Und damit auch eine Stadt, die noch genug Stoff für weitere „Mischung-macht´s-Filme“ bietet. „Migration hat es schon immer gegeben und es wird sie auch immer geben. Das ist ein Prozess, den man immer wieder begleiten muss“, ist die Integrationsbeauftragte Gondek überzeugt.
Susanne Roth (Redaktionsbüro ROTHstift)